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BETÖRENDE STIMMUNGSBILDER - Staatsorchester Stuttgart mit der 2. und 4. Sinfonie von Brahms in der Liederhalle Stuttgart

am 16.7.2023

Cornelius Meister betont die offensichtliche Verwandtschaft des Eingangsthemas von Johannes Brahms' zweiter Sinfonie in D-Dur op. 73 mit Beethovens dritter Sinfonie "Eroica". Als Brahms im Jahre 1877 seinen Urlaub am Wörther See verbrachte, entstand diese zweite Sinfonie, die auch den Beinamen "Pastorale" trägt.

 

Copyright: Matthias Baus: Cornelius Meister

Das Staatsorchester Stuttgart musiziert das Hornthema des Allegro non troppo sehr einfühlsam. Auch die Bassfigur des Themas trägt hier markante Züge. Bereits das Motiv der leisen Posaunen-Akkorde wirft dunkle Schatten. Und das Violinthema strebt unbeschwert nach oben. Heitere Gelöstheit macht sich breit, die Cornelius Meister aber nicht übertrieben zelebriert. Celli und Bratschen geben der Entwicklung bei dieser bemerkenswerten Wiedergabe eine neue Richtung. Und die Duett-Melodie wendet sich ins Elegische. Die Streicher wenden dann erhebliche Energie auf, um der Realität ins Auge zu sehen. Man spürt die dramatische Zuspitzung.  Nach der Exposition entdeckt die Durchführung in den bisherigen Themen eine Nähe zu erregten Konflikten.

Doch auch der Zauber stillen Verweilens lässt nicht lange auf sich warten. Das Adagio non troppo des zweiten Satzes schwingt sich aus einer geheimnisvollen Cello-Melodie empor, erzählt von leidvoller Entsagung. Und das Allegretto grazioso erscheint mit einer naturnahen Melodie, die hier aber glücklicherweise nicht biedermeierlich klingt. Ganz entfernt spürt man dabei den Charme eines Geschwind-Walzers. Die "ländliche Festlichkeit", die Kalbeck  im Finale entdeckt hat, gelingt Cornelius Meister mit dem in atemloser Rasanz musizierenden Staatsorchester Stuttgart ganz hervorragend. Das thematische Material erinnert an den Kopfsatz - und die Streicher spielen die "Hymne an die Natur" leidenschaftlich, geradezu enthusiastisch. Es ist eine schöne Apotheose des Keimmotivs. Das zweite Thema schwelgt in Sexten und Terzen. Und die Coda bildet einen triumphalen Abschluss. Es ist der Höhepunkt dieses Konzerts.

Wie stark Brahms gerade auf Motive Wert legt, offenbart auch die Wiedergabe der Sinfonie Nr. 4 in e-Moll op. 98, die er 1885 vollendete. Den herben Grundton einer stillen Resignation trifft Cornelius Meister  mit dem Staatsorchester Stuttgart genau. Brahms greift dabei stärker als früher auf thematische und harmonische Eigenheiten des Barock zurück. Das weitgespannte Thema des ersten Satzes Allegro non troppo kann sich bei dieser subtilen Interpretation jedenfalls ausgezeichnet entfalten. Deutlich wird auch, wie dieses Thema aus der Terz erwächst, denn mit der Umkehrung hat sich die Bauzelle schon vergrößert. Energien ballen sich zusammen, Intervallschritte besitzen etwas Unerbittliches, die kleinen Bausteine wachsen zu einem Thema zusammen. Unter den verschiedenen Gegenstimmen behauptet sich das ritterlich stolze Seitenthema der Holzbläser. Eine Cello-Melodie entfaltet sich innig und eindringlich. Die knappe Durchführung führt im warmen Leuchten des Holzbläserklanges mit leidenschaftlicher Energie zur wuchtigen Coda.

Den zweiten Satz Andante moderato interpretiert Meister mit dem Staatsorchester glücklicherweise nicht altertümlich und holzschnitthaft. Wie eine Ballade hebt er im Horn mit dem Thema an, das von Klarinetten und Streichern einfühlsam übernommen wird. Gewaltsame Ausgelassenheit beherrscht den dritten Satz Allegro giocoso, dessen Charakter Cornelius Meister als umsichtiger Dirigent aber nicht übertreibt. So wirkt die Musik dämonisch heiter - auch wenn das Triangelklirren im vierten Takt nicht grell klingt. Die Nähe zum ersten Satz ist hier unverkennbar. Das Kunstvolle des Finales (Allegro energico e passionato) sticht bei dieser Interpretation ausgezeichnet hervor. Brahms verarbeitet darin die Form der Sonate mit jener der Chaconne. In der Oberstimme und im Bass kehrt ein Thema pausenlos wieder. Die einunddreissigmalige Wiederholung der Bläser besitzt hier etwas Drohend-Unerbittliches, das durch Mark und Bein geht.

Der energische Aufstieg mit der Kadenz nach Dur schafft bei Meister sehr deutlich nur scheinbare Befreiung. In den Holzbläsern folgt als zweite Wiederholung die Gegenstimme. So nimmt die Sonatenform immer deutlichere Gestalt an. Das Kopfthema erscheint einmal leidenschaftlich, dann wieder friedlich. Als die Posaunen schließlich eingreifen, ist das Tempo immer breiter geworden. Es folgt eine majestätisch musizierte Reprise. Jubel, Ovationen, viele "Bravo"-Rufe.
 

 

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