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MÄRCHEN DER ZUKUNFT - Premiere "Die Frau ohne Schatten" von Richard Strauss in der Staatsoper STUTTGART

am 29.10.2023

In der Inszenierung von David Hermann wird das Märchen in die Zukunft hinein erzählt. Die Welt ist hier zerstört, der Mensch ist nicht mehr das Zentrum der Schöpfung, sondern eine winzige Erscheinung - ganz im Sinne Adornos. Die schattenlose Kaiserin muss innerhalb von drei Tagen einen Schatten gewinnen, um ihren Mann vor dem Versteinen zu bewahren. Mit Hilfe der übernatürlichen Fähigkeiten ihrer Amme könnte sie der Frau des Färbers Barak diesen Schatten abkaufen.

 

Copyright: Matthias Baus

Dann erkennt sie jedoch, dass sie durch die Übernahme des Schattens das Färberpaar ins Unglück stürzen würde. Deshalb weigert sie sich, den Schatten zu übernehmen - und erwirbt dadurch plötzlich ihren eigenen. Im gewaltigen Bühnenbild von Jo Schramm (auch Licht und Video) sowie den eher schlichten Kostümen von Claudia Irro und Bettina Werner sind natürlich Übermächte im Spiel, dominiert zuletzt ein ewig blaues Licht in Form einer geheimnisvoll herabsinkenden Kugel. Die Mysterien-Welten werden nach und nach geweckt. Das ist die Keikobad-Sphäre, benannt nach dem Vater der Kaiserin. Richard Strauss beschwört hier Naturereignisse wie "Die Sonne geht aus mitten am Tage", Stimmungen und Bilder wie den "Goldenen Springbrunnen" oder Gerüche wie den "Menschendunst". Zuerst erkennt man eine moderne Wohnungsfassade, dann öffnet sich überraschend ein überdimensionales Gewölbe, die Kaiserwelt wird dabei zu einer Art Schutzraum, während draußen Not und Unzufriedenheit herrschen. Das Stück beschäftigt sich in dieser Inszenierung deutlich mit dem Kaiserpaar und dem Färberpaar. Es ist also ein Stück über die Idee. Die Kaiserin muss zum Menschen werden, um ihren Mann vor dem Versteinen zu retten.

Der erste Akt mit seinen beiden Sphären wird im Sinne von Strauss interpretiert - aber mit modernen Mitteln. Die erste Hälfte spielt im Märchen-Bungalow des Kaisers, die zweite Hälfte bewegt sich im bedrückenden menschlichen Alltagstreiben des Färberhauses - aber ins Überdimensionale ausgeweitet.  Und am Schluss singt dann der Chor der ungeborenen Kinder im Hintergrund. Keikobad wird hier zu einer planetarischen Energie. Der szenisch-musikalische Zusammenklang ergibt sich aufgrund der ständigen Diskussion um den Schatten.  Er ist ein Symbol für die Fruchtbarkeit aller, was zuletzt zum Vorschein kommt. Da meint man dann sogar schwangere Männer zu erkennen. Das ist allerdings nicht der stärkste Einfall dieser Inszenierung.

Das Licht scheint weiter durch die Protagonisten hindurch. Die Kaiserin ist eine Lichterscheinung, die früher ein Naturwesen war. Der Schatten spannt sich zwischen den beiden Frauenfiguren auf: Der Kaiserin, die Mensch werden möchte und der Färberin, die dieses Menschliche loswerden will, um sich aus sozialen Zwängen zu befreien. David Hermann gelingt es in überzeugender Weise, dieses Spannungsfeld packend herauszuarbeiten. Und es gibt hier in der Welt von Barak ein sehr großes wurmartiges Wesen, das plötzlich getötet wird. Das ist rätselhaft, denn die Zerstörung löst so etwas wie einen weiteren Sündenfall aus.

Es gibt ein raffiniertes Arrangement bei dieser spannenden Inszenierung. Aus den verschiedenen Ecken des Littmannbaus sind Klänge, Gesangs- und Instrumentallinien zu hören, was Richard Strauss in seiner Partitur so vorgesehen hat. Das Ende läuft in seltsamen Phasen ab. Da gibt es einen utopischen Moment über Schwangerschaft, wo ein Wunder eintritt. Und die Protagonisten scheinen sich gegenseitig  in ein unbekanntes Land der Zukunft zu führen.

Musikalisch gelingt Cornelius Meister an diesem Abend als Generalmusikdirektor ein großer Wurf. Assoziationen zu "Salome", "Elektra" und "Ariadne auf Naxos" offenbaren Stil- und Ausdrucksmittel, die immer weiter verfeinert werden. Auch die eindrucksvolle Gegensätzlichkeit der Menschen- und Geisterwelt kommt nicht zu kurz. Die thematische Arbeit  fesselt aufgrund differenzierter Harmonik und klanglicher Intensität,  die hervorragend herausgearbeitet werden. Martin Gantner (Bariton) und Irene Theorien (Sopran) finden für die Figuren des Färbers und der Färbersfrau glutvolle Kantilenen, die sich dynamisch in eindringlicher Weise steigern.

Der erste und zweite Akt zeigen trotz mancher Abstriche eine starke künstlerische Geschlossenheit. Lyrischer Zauber beherrscht dann den dritten Akt, wo Baraks Kantilene "Mir anvertraut, dass ich dich hege" so etwas wie eine unendliche Melodie in sich birgt, die sich in wunderbarer Weise auf die anderen  Figuren überträgt. Dies kommt vor allem der grandiosen Kaiserin von Simone Schneider zugute, die sich im Laufe des Abends in enormer Weise steigert. Auch Benjamin Bruns als Kaiser kann mit tenoralen Spitzentönen fesseln.

Dass "Die Frau ohne Schatten" ein Märchen aus der Sphäre von 1001 Nacht ist, kommt an diesem Abend vor allem in musikalischer Hinsicht zum Vorschein. Das Netz von  schwer durchschaubaren symbolischen Beziehungen  wird auch von den anderen Sängerinnen und Sängern wirkungsvoll entwirrt. Evelyn Herlitzius (Mezzosopran) gewinnt der Amme ebenfalls einen starken stimmlichen Klangfarbenreichtum ab. In weiteren Rollen überzeugen Michael Nagl als Geisterbote, Josefin Feiler als Hüter der Schwelle des Tempels, Kai Kluge als Erscheinung des Jünglings sowie Annette Schönmüller als eine Stimme von oben. Des Färbers Brüder werden von Pawel Konik, Andrew Bogard und Torsten  Hofmann plastisch dargestellt. 6 Dienerinnen, 6 Kinderstimmen und Stimmen der Ungeborenen werden von Alam Ruoqi Sun, Kyriaki Sirlantzi, Fanie Antonelou, Shannon Keegan, Deborah Saffery und Itzeli Jauregui in ansprechender Weise verkörpert. Torsten Hofmann, Pawel Konik, Michael Nagl und Andrew Bogard sind die Stimmen der Wächter der Stadt.  

Eine ausgezeichnete Leistung erbringt an diesem Abend auch der Staatsopernchor Stuttgart (Leitung: Manuel Pujol) zusammen mit dem Kinderchor der Staatsoper Stuttgart (Leitung: Bernhard Moncado). Wichtige Leitmotive der Geisterwelt meisselt Cornelius Meister mit dem Staatsorchester minuziös heraus. Die Amme und der Geisterbote erscheinen unruhig flackernd und pompös. Das weitgeschwungene Motiv des Schattens beschwört dann eine gespenstische Atmosphäre. Die Deklamation der Singstimmen ist pathetisch und exaltiert wie bei "Elektra", was sich vor allem bei den weiten Intervallsprüngen der Amme offenbart, die Evelyn Herlitzius souverän meistert. Auch die kantablere Ausdrucksweise kommt nicht zu kurz. Und des Kaisers schwärmerische Liebesmelodie bekommt bei Benjamin Bruns (Tenor) eine geradezu überwältigende Emphase, einen überirdischen Zauber.

Die Tumultmotive der gewaltigen Erdatmosphäre sind bei Cornelius Meister bis zum Zerbersten angespannt, es kommt zu ungeheuren orchestralen Entladungen. Auch die übersteigerte Hysterie der Färbersfrau wird von Irene Theorien packend verdeutlicht. Bei der Schlussapotheose wächst dann Simone Schneider mit leuchtkräftiger Stimmgewalt über sich selbst hinaus.  

Jubel, Ovationen, "Bravo"-Rufe und vereinzelt Widerspruch für das Regieteam. Ein großer Abend.
 

 

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